Unsauberkeit bei Katzen – Ronya und ihr Heilungsweg
Warum die tiefgehende, individuelle Ursachenfindung, Hinspüren und der Kontakt zum Katzengefährten zur Basis meiner Arbeit wurden

Ich möchte euch einladen auf unsere Reise durch die Jahre von Ronyas Unsauberkeit. An ihr wird deutlich wie viele Aspekte eine Rolle spielen und wie komplex solch Geschehen sein kann. Warum oberflächliche Symptombetrachtung häufig scheitert und wie sehr es sich lohnt, stattdessen tiefer zu schauen und sich auf die Situation einzulassen.
Teil 1 bis x – weil Ronyas Weg in dieser Aufteilung auf unserer FB Seite und Instagram zu finden ist

Teil 1
Ronya ist eine sehr scheue Samtpfote ohne Grundvertrauen. Sie wurde im Alter von etwa sieben Wochen im Müll gefunden und kam als fünfmonatiges Kitten aus einem spanischen Tierheim zu uns. Die Sicherheit fand sie in ihren Katzengefährten und blühte auf. Wir lernten den Alltag miteinander in ihrem Sinne zu gestalten und sie kam zur Ruhe, ohne beständig vor sich bewegenden Menschen auf der Flucht zu sein.
Als Ronya schon sechs Jahre mit uns lebte, verstarb ihre blinde Freundin Vicky. Einige Monate später fand ich immer häufiger vollgepiselte Katzenbettchen und Liegeplätze, markierte Möbel, Wände und Dielen. Ronya hatte Botschaften hinterlassen. Eine Blasenentzündung wurde ausgeschlossen, doch die Vorfälle wurden nicht weniger und Ronya ging gleichzeitig immer mehr in den Rückzug.
Wir hatten bessere und schlechtere Phasen, Enzymreiniger und Inkontinenzunterlagen wurden fester Bestandteil unseres Alltags. Die üblichen Strategien, Tipps und mein studiertes Wissen der Katzenpsychologie blieben ziemlich erfolglos. Ich verzweifelte zunehmend und fühlte mich dem ganzen Geschehen komplett ausgeliefert. So kam nach vielen Monaten mein Kniefall vor dem Leben, im Zusammenbruch, am Ende der Kraft blieb nur die Hingabe an die Situation. Akzeptanz statt Widerstand.
Als ich also völlig verzweifelt auf den Dielen hockte und die Tränen liefen, kam plötzlich ein „genau so fühle ich mich auch“, von Ronya.
Bis dahin hatte ich vor allem wahrgenommen, daß Jamie sie gern mal scheuchte und sie immer mehr floh, statt sich wie früher umzudrehen und ihre Pfote entschlossen ins Katergesicht zu packen. Grenzen setzen stoppt Jamie immer. Ronya setzte nur keine mehr. Mein Verstand konnte nicht erfassen warum und auch alle Versuche ihr neue Erfahrungen in solchen Situationen zu ermöglichen, waren gescheitert.
Nun fühlte ich Ronya, da war die Ebene jenseits des Verstandes, keine menschliche Interpretation, kein Wissen, nur ihre Mitteilung, hinspüren und mitschwingen.
Mir erschloß sich rückwärts deutlicher die Gesamtsituation. Was die Veränderungen im Katzensozialgefüge für Ronya bedeutet hatten. Warum sie unsauber wurde, zum Teil bis heute blieb und welche „Trigger“ entsprechende Vorfälle auslösen.
Warum Ronya so dringend die Coregulation ihres Nervensystems brauchte und sie in den verbliebenen Katzengefährten ohne Vicky nicht fand. Und sich dem Ganzen hilflos ausgeliefert fühlte. Sie versuchte die Kontrolle über ihr Revier mit Markieren zu halten, Sicherheit über ihren eigenen Geruch zu gewinnen und nutzte urinieren auch als Ventil für situative Überreizung.
Ronyas Nerven sind in den Monaten nach dem Tod ihrer Freundin Vicky immer mehr in eine dauerhafte Alarmierung geraten – das war in ihrem Fall nicht sichtbar, nur fühlbar. Vicky war Ronyas Anker gewesen, ihr Fels in der Brandung der nun fehlte und zusätzlich hatten die Kater gegenseitig die Grenzen im Sozialgefüge neu ausgelotet. Und Jamie testete Ronya immer wieder.

Teil 2
Ronyas fragiles Nervensystem ist meinem ähnlich, sehr sensibel, mit detailreicher Wahrnehmung aller Reize im Umfeld und dadurch schnell überfordert. Wir haben beide früher Halt im Außen gefunden, keine gute, aber eine auch von uns Menschen häufig gewählte Strategie.
Je besser ich auf meinem eigenen Weg lernte bei mir bleiben zu können, in meiner eigenen Mitte, statt mich in vielen Situationen im Außen zu verlieren, umso besser wurde mein Kontakt zu Ronya und ich konnte sie intuitiv unterstützen. Ihr den Raum halten, um letztendlich mehr Sicherheit in sich selbst zu finden und zunehmend „da“ bleiben zu können. Das ist der parallele Weg von uns Beiden.
Kira, Merlin und Simba haben ihren Teil zu Ronyas Entwicklung beigetragen und auch Kira ist daran gewachsen.
Letztendlich habe ich akzeptiert, daß Ronya als Gruppenchefin mit Jamie als Gegenpart und ohne eine perfekt passende Ankerkatze, immer wieder mal unsauber sein kann. Als Einzelvorfall oder vorübergehend phasenweise.
Ronya ist durchaus selbstbewußt, weiß was sie möchte und vermeldet das auch, läßt sich aber wenn sie erschreckt wird oder die Kontrolle über eine Situation verliert, durch Außenreize oder ihre Gefährten, unter Druck setzen und verunsichern. Ihr Überlebensmechanismus ist dann die Flucht. Urin außerhalb der Toiletten zu platzieren ist Ronyas Ventil nach aufregenden Momenten und ebenso ihre Art Ressourcenanspruch auszuüben, wenn sie es für erforderlich hält.

So sehr ich auch verzweifelt bin, mit und durch Ronya, so dankbar bin ich ihr für unseren Weg. Freiwillig hätte ich „das“ niemals gewählt, damals als ich sie adoptierte. Doch ich wußte es ja nicht und so wurde Ronya später zu meiner Meisterin. Sie zwang mich die üblichen Pfade der Verhaltenstherapie zu verlassen bzw. sie um eine Dimension zu erweitern.
Wir begegnen uns auf Augenhöhe, als die individuellen Wesen, die wir sind und mit den Limitierungen und Bedürfnissen, die ein Leben im Katzen- bzw. Menschenkörper ausmachen. In vielem sind wir Menschen unseren Katzen, Hunden und anderen Tierwesen auf unseren Entwicklungswegen ähnlich, vor allem was Trauma und Heilung ausmacht.
Wenn wir unsere eigene Seele fühlen können, können wir auch die von anderen Wesen fühlen. Und mit ihnen auf dieser Ebene kommunizieren. Unsere Wahrnehmung kann so viel mehr erfassen, als wir sehen, hören und riechen können oder unser Verstand zu wissen meint.

Teil 3
Und hier beginnt unsere gemeinsame Reise durch die Jahre:

Ronya ist eine scheue Samtpfote ohne Grundvertrauen. Sie ist sehr sozial und orientiert sich schon immer an ihren Katzengefährten, die ihr Sicherheit gaben. Mit ca. sieben Wochen wurde sie als Kitten im Müll gefunden und kam in ein großes Tierheim in Spanien. Es war keine Kapazität übrig, um sich Ronyas besonderen Bedürfnissen und ihrem Trauma zu widmen – aber sie wurde gut versorgt und vermittelt, eine Chance, die viele Streuner nie erhalten.
Ronya versteckte sich schon im Tierheim hinter anderen Katzen sobald Menschen in ihre Nähe kamen. Mit fünf Monaten zog sie zu uns und fand Menschen erstmal weiterhin schrecklich, liebte aber ihre Gefährten und lief quasi einfach mit. Sie blühte auf und fühlte sich sicher in der Gruppe. Von Anfang an spielte sie übermütig mit allen Gefährten oder versuchte es zumindest völlig furchtlos, auch wenn die Gefährten so gar keinen Nerv hatten. Sie war ja im Notfall schnell weg, sie flog quasi durch die Räume und die Kratzbäume rauf und runter.
Teddy war erstmal ihr auserkorener Liebling, sie wurden ein tolles Team und er spielte ausgiebig mit ihr fangen und raufen. Bis er viele Monate später nicht nach Hause kam und fast zwei Wochen verschwunden blieb. Ronya wartete auf ihn und als sie ihn dann endlich nach seiner Rückkehr begrüßen konnte, wollte er nichts mehr von ihr wissen. Auch von seinen anderen Gefährten nicht, Teddy war komplett gestreßt und fertig mit den Nerven. Ich habe nie herausgefunden, wo er war oder was ihm geschehen ist. Er wurde mit der Zeit wieder der „Alte“, doch sein Verhältnis zu Ronya bekam nie mehr die frühere Innigkeit.
Ronya schloß sich mehr Vicky an, sie spielten wenig miteinander, doch verbrachten sie viel gemeinsame Zeit und schliefen auch oft nebeneinander.
In den Garten durfte Ronya mit zwei Jahren, erst dann vertraute ich darauf, daß sie in jeder Situation nach Hause zurückkommen würde. Sie war auch tatsächlich sehr vorsichtig, blieb anfangs sehr nah beim Haus und sobald sie sich erschreckte oder unsicher wurde, lief sie hinein. Solange Ronya draußen war, blieb die Tür offen oder ich mit Vicky in ihrer Nähe.
Mir lernte Ronya zu vertrauen solange sie die jeweilige Situation unter Kontrolle hatte, also Flucht jederzeit möglich und menschlicher Zugriff ausgeschlossen war.
Ronya war und ist immer wachsam und hat eine unglaubliche Wahrnehmung, ihr entgeht kein Detail. Sie liest mich und ihre Gefährten sehr genau. In den ersten Jahren mußte ich sehr auf meinen Körperausdruck achten, mich an ihr bei Begegnungen abgewandt vorbeibewegen, ankündigen, mich niemals über sie beugen usw., alles was den Umgang mit sehr scheuen Katzen für die Katzen verträglich macht. Ronya lernte bleiben zu können, wenn ich an ihr vorbeigehen wollte oder in ihrer Nähe zu tun hatte. Doch noch heute bekommt sie Angst, wenn sich die Tür des Zimmers schließt, in dem sie gerade ist oder schreckt aus einer Schmuseeinheit hoch, weil ich gewagt habe sie mit zwei Händen zu berühren, sie verbindet das sofort mit der Möglichkeit eines Zugriffs.
Tierarztbesuche bleiben ein Problem, denn das Einfangen löst bei ihr Todesangst aus, entsprechend kotet und uriniert sie dabei und kämpft mit allen ihren durch Adrenalin mobilisierten Kräften. Auch dann, wenn ich sie überraschen und greifen konnte.

Wenn ich mir die Fotos der ersten sechs Lebensjahre von Ronya anschaue, dann ist sie völlig selbstverständlich überall mit ihren Gefährten dabei. Sie kam mit allen gut aus und lag auch vertrauensvoll neben ihnen. Vicky, Jamie, Bonny, Teddy und Leo waren Ronyas sicherer Raum, drinnen wie draussen. Dann verstarb Vicky Ende 2018.

Ronya mit Vicky

Ronya und ihr Teddy

Ronya mit Teddy, Bonny und Vicky

 

Teil 4

Vickys Tod war ein großer Verlust für uns alle, sie war der fröhliche, mutige, stabile und soziale Pol meiner Katzengruppe, bis zum Schluß verspielt, aufgeschlossen und in sich ruhend. Wenn es sein mußte, konnte sie aber auch austeilen oder sich mit Durchsetzungskraft prügeln.
In den Monaten nach Vickys Tod wurde deutlich wie sehr Vicky durch ihr Sein Struktur und Sozialklebstoff zwischen ihre Katzengefährten gebracht hat. Alle hatten gemeinsam die Stabilität und Sicherheit gegeben, die die scheue, unsichere Ronya gebraucht hatte, um sich sicher zu fühlen.
Nun testeten sich erstmal die Kater gegenseitig aus und setzten auch Ronya mehr unter Druck. Letztendlich blieb alles beim alten, doch Ronya wurde unsicherer und reagierte auf den energetischen Druck ihrer Gefährten oder auch bestimmte Außenreize immer öfter mit Flucht. Ihr Überlebensmechanismus war zwar schon immer die Flucht, doch durch Vicky hatte sie in sehr vielen Situationen bleiben können, in denen sie jetzt, ohne Vicky, in Rückzugsplätze flüchtete.

Solche Momente animierten Jamie leider zusätzlich dazu Ronya hinterher zu rennen. In den Vorjahren hätte sich Ronya irgendwann in ihrer Flucht umgedreht und Jamie angefaucht oder gleich eine Vorderpfote mit Krallen durch sein Gesicht gezogen. Das hat Jamie immer gestoppt und für eine Weile von solchen Aktionen  abgehalten. Doch diese innere Präsenz war Ronya verloren gegangen.
Ersatzweise setzte ich Jamie Grenzen und konnte dadurch situativ Ronya den Druck nehmen, doch das half nur wenn ich dabei war. Um Jamies Verhalten zu verändern brauchte es auch eine andere Haltung von Ronya. Würde Ronya nicht flüchten, würde Jamie sie nicht verfolgen. Doch sie hielt dem Druck nicht mehr stand. So sehr ich auch versuchte Ronya zu zeigen, was sie nur tun müßte, um Jamie zu stoppen, sie blieb bei ihrem Verhalten. Ich fragte sie immer wieder, warum sie Jamie keine Grenze mehr setzte, sie antwortete immer „ ich kann nicht“. Mehr konnte sie mir nicht sagen und ich verstand nicht, warum sie nicht konnte. Heute weiß ich warum, doch dazu später mehr.
Im Herbst 2019 fand ich ab und an Urinflecken an der Sofalehne und in den nächsten Monaten immer öfter und an weiteren Stellen. Es dauerte einige Zeit bis ich herausfand, daß Ronya die Verursacherin war. Sie piselte jeweils recht große Lachen, vertikal wie auch horizontal. Da Ronya schon immer quasi eine „Standpinklerin“ ist, also sich auch in der Katzentoilette nur kurz hinhockt und dann schon während des Piselns aufsteht, um danach sofort aus der Toilette zu düsen, läßt sich bei ihr nur situativ im Kontext feststellen, ob es jeweils Markieren, Nervenventil oder Alternativtoilettennutzung ist.
Mit den Monaten wurden die Piselplätze immer mehr, die Vorfälle häufiger und Ronya ging mehr in den Rückzug, war aber immer noch im ganzen Haus präsent und nutzte auch im EG Liegeplätze.  Ab September 2020 hatte Ronya überall im Haus Orte, an denen sie immer mal Piselspuren hinterließ, ab November 2020 war sie fast nur noch im OG und kam nur zum Fressen oder für Gartenausflüge runter.
Körperliche Ursachen wie z.B. eine Blasenentzündung waren nicht Ronyas Problem, sie war auch nicht unglücklich, immer noch war sie mit allen Gefährten auch gemeinsam unterwegs oder lag mit ihnen zusammen in meinem Bett. Sie ließ sich wie immer morgens im Bett von mir flauschen, spielte mit mir und genoß völlig entspannt ihre Sonnenplätze, sie hatte ihre verrückten Minuten, warf sich auch in Gefährtenanwesenheit entspannt mitten im Hof hin, um per Sandbad ihr Fell zu pflegen.
Dennoch hatte sie ein großes Kontrollbedürfnis und war in sich unsicherer.
Aus Katzensicht ist urinieren außerhalb der bevorzugten Toilettenorte durchaus normal, z.B. als Ersatz für Präsenz, Markierung für Ressourcenanspruch oder als Ventil für Überreizung, so hatte auch nur ich ein Problem damit, denn Ronyas Gefährten störten sich nicht daran. Auch wenn immer mehr geliebte Katzenbettchen, Schlafmatten, Schaffelle und Kissen in den Müll flogen und die Ausstattung für meine Samtpfoten immer pragmatischer wurde (entweder kostengünstig oder heiß waschbar, Fleecedecken und Handtücher….). Die Katzen nutzten einfach das angepaßte Angebot, nur ich fühlte mich immer mieser mit all dem, was sie missen mußten. Mit all den verteilten und allerorten hingeklebten Inkontinenzunterlagen. Mit Enzymreinigerbestellungen im 10 l Kanisterformat.
Egal welche Katzenfälle mir tagsüber beruflich begegneten, die größte Herausforderung wartete immer daheim auf mich und es fühlte sich oft auch wie Versagen an. Das setzte mich zusätzlich unter Druck. Denn alles, was ich anderen an Tipps oder Möglichkeiten geben würde, alles was ich bis dahin an Erfahrung und an studiertem Wissen der Katzenpsychologie gesammelt hatte, versagte hier.
Die Liste der versuchten Maßnahmen war lang, unter vielem anderen Feliway, Bachblüten, Zylkene, Tellington Touch, mehr Toiletten, Futter oder meine Shirts an Piselplätzen, usw. …nichts brachte langfristig Besserung. Die Dynamik der Charaktere blieb, was aus heutiger Sicht auch logisch war, denn die Einwirkung von außen auf die Symptome, kann tiefer liegende Ursachen selten erreichen.
Ronya vereint zudem eine sehr ungünstige Kombination in sich: sie hat kein Grundvertrauen, ist nicht händelbar, unsicher und zugleich Chefin der Katzengruppe. Sie versuchte ihren entstandenen Mangel innerer Präsenz durch Kontrolle auszugleichen. Sie überwachte, beobachtete und verteilte ihren Urin.

Leo und Ronya

  pragmatisches Wohnen mit Inkontinenzunterlagen

 

Teil 5

Wir hatten bessere und schlechtere Phasen, in schlimmsten Zeiten fand ich täglich acht bis neun Piselstellen.
Natürlich hatte ich erwogen nach einer Gefährtin/Ankerkatze für Ronya zu suchen, doch würde das so einfach aufgehen wie mit Vicky, die auch perfekt mit allen anderen gepaßt hatte? Jetzt war Ronya das einzige Mädchen und nach Vicky die Gruppenchefin, das wollte sie bleiben und würde in einem weiteren Mädchen eher mögliche Konkurrenz sehen. Mir erschien das Risiko zu hoch, die Probleme eher noch zu verschärfen. Sie waren zudem bereits zu fünft und ich nur ein Menschengefährte, der keine Samtpfote zu kurz kommen lassen wollte.
Ob Ronya an einem anderen Platz glücklicher wäre? Doch eine so unsichere und menschenscheue Katze, die zugleich aber die Wärme und ihre Schmuseeinheiten auf ihre spezielle Art braucht, die ihre Gartenausflüge liebt, fast ihr ganzes Leben bei uns verbracht hat umgewöhnen? Und wohin? Könnte sie sich neu ein/unterordnen? Sie bräuchte hochsoziale Katzengefährten und sehr sensible Menschen mit feiner Wahrnehmung. Und falls ich solchen, seltenen Platz fände, was macht ein Umzug mit Ronya? Hier kennt sie alles und alle Gefährten, kann alle Außeneinflüsse zuordnen im Umfeld,  jede Veränderung bedeutet für sie Verunsicherung und läßt sie den Halt verlieren.
Und was, wenn Ronya auch am neuen Lebensplatz unsauber wird oder/und deshalb zu uns zurückkehrt? Dann wäre Ronya doch noch mehr aus dem Gleichgewicht gebracht.
Hätte ich ein anderes Zuhause als sichere Lösung empfunden, hätte ich diesen Weg Ronya zuliebe eingeschlagen. Doch es fühlte sich vor allem an wie im Stich lassen. Und Ronya sagte selbst „Woanders? Das hier ist mein Lebensplatz!“.
So ist es. Wir gehören zusammen und gehen den Weg gemeinsam da durch, immer weiter, das fühlt sich richtig an. Schritt für Schritt. Zwischen Verzweiflung und Hoffnung, Überforderung und Glücksmomenten.

Immer wieder fragte ich in höheren Ebenen nach Rat. Und bekam ungewöhnlicherweise keine anderen Hinweise als weiterzugehen. Um den Jahreswechsel 2020/21 fiel im Garten der Name „Schattenfell“, nur ein Name, der Name einer Samtpfote. Mein Verstand wollte mehr wissen, doch mehr Infos gab es nicht, zudem war „eine Katze mehr“ keine Lösung, die mein Verstand mochte. Intuitiv war mir aber klar, daß ich solchen Hinweisen folgen würde, ohne zu wissen wohin sie führten, denn um Wissen ging es dabei nicht.
Natürlich überlegte ich wer Schattenfell sein konnte, für Katzen ist der Name ungewöhnlich. Zum einen war Schattenfell Gandalfs Pferd (Der Herr der Ringe), doch zum anderen bin ich selbst eine Art Schattenkriegerin und meine Felle gehen diesen Weg mit, sie sind also Schattenfelle? Einige Zeit später vervollständigte sich der Name zu „Kira Schattenfell“. Es wurde irgendwie spannend. Ich mußte Kira dann auch nicht finden, nur offen für sie sein, sie kam einfach in unser Leben.
Gezeugt wurde sie in der Sylversternacht 2020 in Ungarn, als die unkastrierte Kormi, die zuvor noch ihren zweiten Wurf aufgezogen hatte, aus der Obhut einer Katzenschützerin entwischte und draußen auf einen wunderschönen Silbertiger traf, der dort zum Futtern kam und noch nicht hatte kastriert werden können.
Eine befreundete Katzenschützerin brachte die trächtige Kormi nach Berlin. Kormi war noch sehr jung, erst anderthalb Jahre und erwartete bereits ihren dritten Wurf. Sie konnte zum ersten Mal ihre Kitten in Sicherheit und liebevoller Vollversorgung zur Welt bringen und aufziehen. Es waren Vier, drei Mädchen und ein Kater, eines der Mädchen war Kira. Sie zog mit 12 Wochen zu uns, ihre Geschwister und Kormi wurden jeweils zu Zweit ebenfalls gut vermittelt. Kira hat als einzige Freigang „erwischt“ und braucht ihn auch. Sie ist eine sehr spezielle Zauberkatze.
Ich hatte so sehr gehofft „jetzt wird alles gut für alle“. Es wurde besser und es war der richtige Weg, doch um die Steine auf dem Weg wußte ich nichts, sonst hätte ich mich vielleicht nicht dafür entschieden.

An Kiras Einzugstag mußte sie nur eine kurze Strecke mit mir fahren und kannte mich bereits. Weil bei unserer Ankunft alle Kater im Eingangsraum schliefen, stellte ich ihnen Kira gleich vor. Jamie, Bonny, Teddy und Leo reagierten interessiert, entspannt und sehr freundlich. Kira war nervlich überfordert und knurrte allesamt an. Ich hatte Kira im Umgang mit ihren Geschwistern erlebt und damit eher nicht gerechnet. Also bezog Kira erstmal unser Katzenzimmer mit Gittertür. Sie verhielt sich völlig kittentypisch, war sehr neugierig und spielfreudig am Gitter. Bei Begegnungen mit den anderen Katzen knurrte sie weiterhin, doch die Kater tangierte das nicht, sie blieben freundlich und respektierten sie als „du gehörst jetzt also zu uns“.
Ronya sah das völlig anders. Sie war neugierig und interessiert, doch Kiras Knurren an der Gitterfront nahm sie ernst und reagierte darauf mit Angriffen. Beide Mädchen blieben dennoch aneinander interessiert, begegneten sich immer wieder, mißverstanden sich aber meist. Beide reagierten eher zweideutig und nahmen dann jeweils das schlimmere voneinander an. Ronya versuchte z.B. aus Unsicherheit spielerische, recht heftige Scheinangriffe, die von Kira als Angriff gewertet wurden, weshalb sie knurrte und drohte, ebenfalls aus Unsicherheit, denn sie ließ sich in solchen Momenten ganz leicht von mir ablenken und meinte es somit nicht ernst.
Mehrfach griffen sich die Mädchen durchs Gitter an, mit den Krallen ohne Zahneinsatz, dennoch ernst zu nehmen. Meine Mediation, Spielen am Gitter usw. ermöglichte den Mädchen gute Erfahrungen miteinander, doch die Energie der Begegnungen ohne mich blieb leider negativ.
Als sich an der Situation nichts mehr veränderte, traf ich nach etwa zwei Monaten Gittertür eine sehr individuelle und intuitive Entscheidung, die keinesfalls als allgemeine Empfehlung zu verstehen ist: ich folgte meiner Wahrnehmung im Hinspüren zu den Mädchen und nahm die Gittertür weg. Kiras Zimmer blieb nun offen.

 

Teil 6

In den letzten Monaten hatte Ronya bis auf Mahlzeiten und Gartenausflüge fast ausschließlich das Katzenzimmer, Schlafzimmer und den Flur im Obergeschoß genutzt. Seit Kiras Einzug bei uns war das Katzenzimmer zwar durch Kira belegt gewesen, doch Ronya hatte das Obergeschoß als ihre Aufenthaltsfläche beibehalten. Kira ihrerseits hatte bereits das gesamte Haus bei ihren Ausflügen aus dem Katzenzimmer kennengelernt. Ronya war zu diesen Zeiten jeweils draußen im Garten oder im Schlafzimmer gewesen, dort fühlte sie sich auch trotz geschlossener Zimmertür sicher. Kira kannte sich also bereits im Haus aus, als ich die Gittertür weg nahm und nun beide Katzenmädchen überall hin Zugang hatten.
Zunächst hielten sie Abstand zueinander und gingen sich aus dem Weg. Ronya nutzte sofort wieder ihr geliebtes Katzenzimmer, in das es Kira nun gar nicht mehr zog. Sie fand das Erdgeschoß spannender und verfolgte gern von den Fensterbrettern das Leben draußen. Sie sauste durchs Haus, spielte wie ein Wirbelwind und eroberte jeden noch so hohen Platz. Kira erinnerte mich sehr an Ronya als Kitten. Die beiden Mädchen ähnelten sich im Verhalten und auch in ihren Vorlieben für hoch gelegene Lieblingsplätze. Eigentlich hatten sie die besten Voraussetzungen für ein gutes Team, dennoch fanden sie nicht zueinander.

Kira war als neugieriger Kobold überall mit dabei und Ronya blieb anfangs in ihrem Rückzug in der oberen Etage, schlief aber weiterhin völlig entspannt mit mir und allen Katern gemeinsam im Bett. Mit den Katern kam Kira ebenfalls bestens aus und Bonny wurde ihr Spielpartner. Er hielt ihre Überraschungsangriffe gut aus, forderte sie auch von sich aus auf und konnte ihr mühelos Grenzen setzen, wenn es ihm zuviel wurde.
Ronya wurde mit der Zeit neugieriger und verfolgte zunehmend, was Kira so machte und hielt sich öfter auch im Erdgeschoß auf. Kira war sozusagen die Herausforderung, die Ronya nach langer Zeit aus dem Rückzug brachte! Ronya schlief endlich abends auch mal wieder auf dem Kratzbaum im Wohnzimmer und Kira lag derweil mit auf dem Sofa.
Die von Ronya in den letzten Jahren täglich hinterlassenen „Piselbotschaften“ außerhalb der Katzentoiletten waren weniger geworden, aber sie markierte ihr Revier drinnen weiterhin, wenn sie es für erforderlich hielt oder nach aufregenden Konflikten mit Jamie als Ventil.
Wie sehr für Ronya Piseln auch als Nervenentlastung diente, wurde deutlich, als sie nach einer ausgelassenen Spielrunde auf dem Sofa gegen die Rückenlehne piselte. In diesem Fall waren ihre Nerven positiv hochgereizt und nicht durch kätzische Konflikte oder Druck auf negative Art. Zukünftig beendete ich solche Spielsessions für Ronya mit Leckerliesuchspielen, so daß sie langsam „runter“ kam. Das half.
Von einer Freundschaft der beiden Mädchen miteinander oder wenigstens Gleichgültigkeit waren wir noch immer entfernt und vom Ende von Ronyas Unsauberkeit auch. Aber es war deutlich besser geworden, Ronya war viel präsenter im Alltag und hatte ein wenig Standfestigkeit zurückgewonnen.

 

Teil 7

Ronya und Kira starteten gegenseitig ab und an Scheinangriffe. Ich hatte das Gefühl Ronya testete Kira und wollte eigentlich eine Spielaufforderung abgeben, wurde dabei aber aus Unsicherheit zu energisch und Kira, ebenfalls unsicher, faßte das vorsichtshalber als Angriff auf und reagierte entsprechend mit Knurren, Flucht oder halbherzigem Gegenangriff, der auch eher die Grenzen auslotete. Mit der Zeit wurde Ronya in ihrer spielerischen Absicht der Annäherung an Kira deutlicher, doch das Mißtrauen bei Kira saß tief. Sie beobachteten sich gegenseitig, belauerten sich manchmal und kontrollierten einander.

Kira war schnell nervlich überfordert, knurrte dann oder ging in die Abwehr. Immer wenn es irgendwie „eng“ wurde oder nervlich zuviel, war sie kampfbereit oder flüchtete soweit das möglich war. Sie konnte keine nervenaufreibende Situation aushalten.
Als sie ein Jahr alt wurde, durfte sie auch mit in den Garten, bis dahin war sie mir noch zu viel unbesonnene „KamiKatze“ gewesen. Flucht, Geschwindigkeit und hohe Plätze waren dann auch draußen ihre Lösung für z.B. Begegnungen mit Fremdkatzen, fremden Personen oder anderen Verunsicherungen. Meistens war die Welt in unserem Garten und darüberhinaus aber die beste Nervenregulanz für Kira. Sie liebt es bei jedem Wetter draußen zu sein, dort ist ihre spannende Erlebniswelt, da kann sie klettern, rennen und jagen.
Draußen fühlte sich Kira Ronya gegenüber sicher und griff sie manchmal an, drinnen fühlte sich Ronya gegenüber Kira sicher und testete sie ihrerseits, beide Mädchen also in ihrer jeweiligen Wohlfühlzone.

Als unser Kater Bonny Ende November 2022 starb, verlor Kira ihren liebsten Spielgefährten und alle Katzengefährten mit ihm einen sehr wichtigen sozialen Part der Gruppe. In den folgenden Monaten wurde immer deutlicher wie sehr sein Sein für Stabilität und Freundschaft gesorgt hatte. Ronya und Kira merkte man es am meisten im gesamten Miteinander der Katzen an.
Zwischen den Mädchen änderte sich eher nichts, in Konfliktsituationen konnte ich zwar Grenzen setzen, sie stoppen und lenken, beruhigen, doch nichts half über die jeweilige Situation hinaus dauerhaft für Begegnungen in Harmonie. Letztendlich lebten sie immerhin nebeneinander, wenn auch nicht miteinander, doch Beide arrangierten sich damit.
Zu meiner großen Freude und Erleichterung nutzte Ronya inzwischen auch mal für längere Zeit ausschließlich die Katzentoiletten. Es gab dennoch weiterhin Phasen mit Unsauberkeit oder Einzelvorfällen, von den allerorten verteilten Inkontinenzunterlagen als Schutz unserer Wohnräume kamen wir also nicht weg.

Als für ein paar Tage ein fremder Kater für Kastrationsvor- und nachsorge ins Katzenzimmer zog, gab es nicht einen einzigen Unsauberkeits-Vorfall mit Ronya. Obwohl genau dieser Kater beide Mädchen im Garten sehr bedrängt und verfolgt hatte. Allerdings war er auch die Kater angegangen und Jamie verfolgte Ronya in den Tagen des Katergastes wohl nicht, was für Ronya entscheidend war.
Sie hatte fast ausschließlich mit Jamie ein Thema, das war mir immer bewußt gewesen.
Jamie lebte schon vor Ronya mit uns und hatte eigentlich seit sein Freund Royan verstorben war, keinen Spielfreund mehr gefunden. Er verstand sich mit allen seinen Katergefährten, doch er verfolgte andere gern als Spiel, ließ sich aber umgekehrt nicht von den anderen verfolgen und so lehnten ihn die anderen als Spielpartner ab. Jamie jagte stattdessen gern Ronya nach, entweder wenn sie sich erschrak und flüchtete oder er übte bewußt Druck aus, bis sie vermeidend weg rannte. Könnte sie in solchen Momenten bei sich bleiben und langsam laufen oder einfach bleiben, wäre sie kein Ziel für ihn – doch das gelang ihr nur selten.
In mir reifte deshalb der Wunsch einen sozialen, verspielten Kater aufzunehmen, einen möglichen Spielfreund für Jamie und auch Kira. Ich hoffte, daß dann auch der Druck von Jamie auf Ronya nachlassen würde.

Bonny mit Kira

Ronya mit Kira (in der Höhle)

 

…Fortsetzung folgt und erscheint jeweils parallel auf unserem Facebookaccount ♥